Heute habe ich wieder einen längeren Wandertag nach Carthage (Karthago) eingelegt. Zum zweiten Mal bin ich hier. Sieben Stunden lang habe ich zahllose Straßenkilometer abgespurt und bin in antiken Ruinen herumgeklettert. Dabei habe ich auf den Hügeln Karthagos schöne Parkanlagen entdeckt, die es in der Stadt sonst kaum gibt. Um in Ruhe das punische und römische Erbe von Tunis zu besichtigen, braucht man mehrere Tage. Und das römische Theater habe ich immer noch nicht gesehen.
Der Großteil des antiken Erbes befindet sich am Küstenstreifen in Carthage, aber auch in angrenzenden Vierteln. Oft entdecke ich durch Zufall Orte, wie heute die riesigen Zisternenanlage und das Viadukt, die hinter einer großen Ausfallstraße vor sich hinschlummern. Ihren Schlaf wollte ich nicht weiter stören; sie ruhen bestimmt auch noch in 20 oder 100 Jahren dort unbemerkt in Frieden.
Oder die antiken Gebäudereste, die auf einem großen umzäunten Wiesengrundstück liegen. Direkt neben der riesigen Malek-Ibn-Moschee. Der Zugang ist versteckt, ein halb geöffnetes Tor, der Boden mit Gras und Plastikmüll zugewachsen; all das sieht überhaupt nicht offiziell aus. Die Ruinen umfassen ein Gebiet von etwa 100×30 Meter und liegen unter dem heutigen Boden versteckt. Man stapft durch eine zugewachsene Wiese, um dort hinzugelangen. Man weiß auch nicht, ob das Betreten des Geländes verboten oder erlaubt ist. Ein paar Jugendliche machen dort ein ausgiebiges Fotoshooting. Natürlich ist es aufregend, in den antiken Resten herumzuklettern und ein paar Fotos zu schießen.
Auch das karthagische Nationalmuseum (Musée national de Carthage) ist heute von fröhlichen Jugendgruppen und Familien bevölkert – alle Einheimischen haben an diesem Tag freien Eintritt. Hier ist man weit oberhalb der Stadt und kann den Blick über das Mittelmeer schweifen lassen. Im Gegensatz zur Enge der Stadt weit unten im Süden, gibt es hier oben auf den Hügeln eine großzügigere Bebauung. Zwischen der Malek-Ibn-Moschee, dem Parc Montazah und dem Villenviertel hat das Auge ausgiebigen Platz zum Schweifen. Hier hat der Raum eine großstädtische Großzügigkeit, die Innenstadt und Vororte nicht haben.
Oben, auf der großen Terrasse des Museums wandert der Blick von weißen Villenvierteln über unbebautes Niemandsland zu dem üblichen, dahingewürfelten Mischmasch aus Wohnvierteln zu den gesichtslosen Betonklötzen am Horizont. Nur für die Thermen und das Nationalmuseum von Karthago existiert so etwas wie eine touristische Infrastruktur – der Rest der karthagisch-römischen Geschichte bleibt für Gäste von außerhalb unerschlossen. Manchmal kann man einen historisch interessanten Ort nur daran erkennen, weil die tunesische rote Flagge an einer hohen weißen Stange davor im Wind flattert. Die antike Geschichte existiert zwar in den Vororten von Tunis: sie ist aber fast immer umgeben von Lieblosigkeit, Gleichgültigkeit und Müll – und allenthalben zugewachsen vom sprichwörtlichen Gras.
Im Nationalmuseum bleichen die seit Jahrzehnten nicht mehr überarbeiteten Informationstafeln im Freien vor sich hin; der Innenbereich mit seinen Fundstücken, Exponaten und Vitrinen ist bis zum nächsten Jahr geschlossen. Gut, an den großen Straßen es gibt ein paar Hinweisschilder zu den römischen Villen, den Thermen oder dem paläochristlichen Museum; aber ohne einen Blick auf die GPS-Karte sind viele Orte nicht zu finden. Über manche Schätze stolpere ich daher nur durch Zufall, wie die riesigen antiken Zisternen. Und auch dies nur, weil ich einen Umweg nach Hause nehme.
Auf der Zisternanlage und dem Viadukt spielen Kinder. Die Anlage befindet sich ein paar Kilometer vom Meer entfernt, hinter einer Schnellstraße versteckt. Nur wenige Einheimische sind zu sehen. Immerhin ist der Ort auf der GPS-Karte verzeichnet (Citernes de la Malga). Nachdem ich eine Weile auf dem Gelände bin, kommt aus einer Ecke Wächter mit langsamen Schritten auf mich zu. Er muss den ganzen Tag mangels Besuchern vor sich hingedöst haben. Er weist sich aus und fragt, ob er mich durch das Gelände führen kann. Und er fragt nur, weil ich fremd aussehe; die Einheimischen spricht er nicht an.
Die meisten antiken Schätze und Ausgrabungsstätten sind touristisch kaum erschlossen und mangels Schildern nicht zu finden, oft gibt es noch nicht einmal Wege zu ihnen; sie bröckeln wie die morschen Zähne des Wächters vor sich hin. Der Wächter immerhin, er lächelt.
Schaefchen
Warum war freier Eintritt? 1. Sonntag im Monat oder ein besonderer Feiertag?
Was spielen die Kinder – auch Fussball?
Seepferdchen
Ich glaube der freie Eintritt lag an dem ersten Sonntag im Monat, ansonsten kostet der Eintritt 9 Dinar für die Einheimischen (etwa 2,50 Euro). Das hört sich nicht so viel an, für manche ist es aber viel Geld, vor allem für Familien. Die Kinder spielen Fußball auf der Straße oder an Hausecken; leider gibt es kaum Bolzplätze. Die Infrastruktur fehlt, um gut Fußball spielen zu können.
Schaefchen
Bist Du mit dem Zug gefahren?
Was für Züge fahren dort?
Seepferdchen
Zwischen den großen Städten verkehren Züge, aber sie fahren sehr selten und sind sehr langsam. Die meisten Leuten benutzen daher kleine Taxibusse für längere Strecken, die auch sehr günstig sind. Die Vorortzüge habe ich noch nicht benutzt, es sind auch nur sehr selten welche zu sehen.
schaefchen
Dann hast Du wohl die Hanibal-Station nur aufgenommen, weil sie so schmuck ist?
Seepferdchen
Weil die Blau-Weiß-Kombination typisch für Carthage und auch viele Häuser in Tunis ist. Und weil man sonst kaum Bahnstationen sieht.
Martin-U. Harbort
Ich habe den Eindruck, im einleitenden Satz “Und das römische Theater habe ich immer noch gesehen.” fehlt ein “nicht” 🙂
Seepferdchen
Danke für den Hinweis. 🙂 Das wird geändert.